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Weihnachten im Krieg

 
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Autor Nachricht
kassandra
superwichtiger-Rentier-Lenk-Wichtel


Datum der Anmeldung: 18.12.2005
Beiträge: 203
Wohnort: Passau

Geschrieben am: 16.12.2008, 00:06    Titel: Weihnachten im Krieg Top 16098: Weihnachten im Krieg Antworten & Zitieren

...oder der wundersame frieden am heiligabend.

http://www.volksbund.de/presse/im_blickpunkt/?id=178&sort=3620

Heiliger Abend im Ersten Weltkrieg

Eine wahre Geschichte von Heinrich Gustav Teichmann

Es war Dezember 1916. Das Weihnachtsfest rückte immer näher und bald fiel bei uns an der Westfront der erste Schnee. Wir überlegten schon lange, wie wir zu einem Bäumchen gelangen könnten. Aber es war wie verhext. Es bot sich keine Möglichkeit. Wir versprachen den Essenholern, die in die Etappe kamen, alles mögliche, sogar unsere Tabakration, aber es war einfach kein Nadelwald in der Nähe. Nur vor uns, vielleicht in einer Entfernung von fünf Kilometern Luftlinie, befand sich ein Mischwald mit einer seitlich angeschmiegten Fichtenschonung.

Keiner wusste Rat

Für alle Fälle sammelten die Kameraden schon lange das Stanniolpapier aus den Zigarettenschachteln. Daraus schnitten wir mit Rasierklingen dünne Streifen zu Lametta. Wir sammelten die Reste der so genannten Hindenburglichter und kneteten sie handwarm um Schnurstücke zu kleinen Licht’ln. Aus Pappe schnitten andere Kameraden Sterne und malten sie mit Blei- oder Kopierstift an. Auch ein Stummel von einem Gelbstift wurde dazu verwendet. Die Attraktion war eine rote Glaskugel, welche den langen Transportweg heil überstanden hatte und den Adressaten in einem Päckchen aus der Heimat erreichte. Nur der Baum dazu fehlte noch. Keiner wusste Rat.

Der 24. Dezember kam heran, und am Morgen hatten wir noch immer keinen Weihnachtsbaum. Auch unsere Offiziere schauten düster drein, obwohl der Erdboden leicht überfroren war, keiner mehr im Schlamm stehen musste und weder Sturm noch Wind wehte. Ganz leise tanzten die Schneeflocken vom Himmel. Das Land war bereits mit einer zehn Zentimeter dicken weißen Decke überzogen. Zufällig bekam unsere Kompanie am Vormittag mit der Verpflegung auch Skier und helle Tarnbekleidung angeliefert.

Da kam mir eine Idee. Ich meldete mich beim Hauptmann und schlug einen Spähtrupp zum Wäldchen vor. „Mensch wissen Sie, wie gefährlich das ist? Heute zum Heiligen Abend kann ich keine Gefallenen ertragen! Wie viel Mann wären nötig?“ Ich sagte: „Herr Hauptmann, einen für den Transport und noch einen zur Sicherung. Insgesamt, mit mir, drei!“ „Meinetwegen. Einverstanden. Suchen Sie sich noch zwei Kameraden aus, aber nur freiwillige, und ledig müssen sie sein! Verstanden?“ „Jawoll, Herr Hauptmann“, erwiderte ich.

Im Niemandsland

Die zwei Kameraden standen mir schon zur Seite. Sie hatten sogar einige dünne Kälberstricke, einen Fuchsschwanz, die Schneeschuhe und die Tarnbekleidung organisiert. Gleich nach dem Mittagessen zogen wir los, begleitet von allen Augen der Kompanie. Wir kamen auf den Brettern nur langsam voran, sie waren sehr ungewohnt Aber nach und nach wurden wir sicherer. Wenn eine Leuchtkugel hoch ging und die Umgebung aufhellte, blieben wir wie angewurzelt stehen. Ungehindert konnten wir das Waldstück im Niemandsland ansteuern. Als wir den Waldrand erreichten, verharrten wir erst einmal ganz still, und horchten auf fremde Geräusche.

Aber es blieb zum Glück alles ruhig. Wir stellten unsere Karabiner an eine Birke und suchten in der näheren Umgebung eine passende Fichte. Zu unserer größten Überraschung entdeckten wir sogar einige Tannenbäumchen. Ich suchte zwei geeignete heraus. Ein Kamerad zückte den Fuchsschwanz und sägte die erste Tanne ab. Gerade als ich sie aufhob und der Kamerad sich bückte, um die zweite abzusägen, stieß mich der dritte in die Seite, legte den rechten Zeigefinger auf seinen Mund und wies mit seinem Kopf nach links, wo sich gerade drei Franzosen daran machten, mit einer Bügelsäge einer mittleren Fichte beizukommen. Noch hatten sie uns nicht bemerkt. Der dritte Kamerad lief gebückt zurück zur Birke und holte unsere Karabiner. Den zweiten Kameraden packte ich vorsichtig an der Schulter, hielt ihm den Mund zu und flüsterte ihm leise ins Ohr, dass dort Franzosen am Werk seien. Er bekam es mit der Angst zu tun und traute sich nicht aufzustehen. Er legte sich sofort lang hin, um sich hinter einem Strauch zu tarnen.

Dann geschah das Wunder

Von hinten wollte mir der andere Kamerad den Karabiner zuschieben. Doch ich lehnte ab, beobachtete die französischen Soldaten, die jetzt aufgeregt zu uns herüberblickten. Als unser dritter seinen Karabiner in Anschlag bringen wollte, drückte ich ihm den Lauf hinunter. Ein Franzose wollte im gleichen Augenblick eine Handgranate abziehen, wurde aber von einem graubärtigen Soldaten daran gehindert. Dann geschah das Wunder: Die Franzosen kamen ohne Waffen auf uns zu. Wir ließen unsere Gewehre einfach liegen und schritten unseren Feinden entgegen. Der vordere rief: „Nix schießen, Kamerad!“ Zur Verständigung winkten wir mit den Händen und hoben unsere Weihnachtsbäumchen hoch. Auf der anderen Seite taten sie das gleiche und hoben die Fichte empor. Nun ließen wir jede Vorsicht fallen und liefen einfach auf sie zu.

Etwas zurückhaltend noch, begrüßten wir uns, die wir Weihnachten feiern wollten unter dem gleichen Himmel. Ich kramte eine Schachtel mit zerdrückten Zigaretten hervor und bot den französischen Soldaten davon an. Sie ihrerseits gaben uns ihre. Wir rauchten die ersten Züge schweigend. Nachher begutachteten wir gegenseitig die Bäumchen, lachten und klopften uns auf die Schultern. Der alte Franzose meinte: „Krieg nix gutt!“

Wir nickten eifrig. Dann zeigten wir uns gegenseitig die Fotos unserer Lieben. Alle nickten anerkennend beim Beschauen der Bilder. Aufgeregt zeigte ein jeder vor allem auf die Gesichter der Kinder und Frauen. Als die Zigaretten verglüht waren, schenkten wir uns gegenseitig unsere angebrochenen Schachteln.

Es war eine eigenartige Weihnachtsbescherung, fand sie doch unter „staatlich verordneten Feinden“ statt. Wir fragten uns, warum müssen wir eigentlich aufeinander schießen, die wir uns doch nie gesehen und uns nichts getan hatten? Konnten sich unsere Regierungen nicht auch endlich vertragen? Zum Abschied gaben wir uns die Hand. Der alte Franzose sagte noch: “Nix Offizier sprechen!“ Wir nickten zum Zeichen des Einverständnisses. Jeder würde sich hüten, dem Hauptmann etwas zu sagen. Wir trennten uns sehr nachdenklich und winkten uns noch einmal zu. Die Franzosen liefen nach Westen und wir fuhren, nachdem wir das zweite Bäumchen abgesägt hatten, nach Osten.

Wir teilten das Wenige

Im Laufgraben wurden wir schon von unseren Kameraden ungeduldig erwartet. Auch unser Hauptmann war froh, uns unverletzt wieder zu sehen. Dankend nahm er sein Tannenbäumchen, gab es seinem Putzer und verschwand in seinem Offiziersunterstand. Vor unseren Vorgesetzten hatten wir heute Ruhe. Unser Tannenbäumchen wurde von allen Seiten begutachtet. Die Freude darüber war unverkennbar. Rasch wurde es behängt. Nun stand es schmuck auf einer Munitionskiste, bereit für die Bescherung. Einige mussten allerdings Posten stehen, draußen in der stillen Nacht. Nicht ein Schuss fiel. Man konnte die Illusion haben, im Frieden zu leben. Wir drei Weihnachtsbaumholer wurden an diesem Heiligen Abend von der Wache befreit. Ich durfte die Lichter anstecken. Die Kameraden, welche das Glück hatten, ein Päckchen erhalten zu haben, teilten das Wenige mit denen, die leer ausgegangen waren. Zur Feier des Tages gab es für jeden einen Becher heißen schwarzen Tee. Wir drei verteilten die französischen Zigaretten. Ungläubige Augen sahen uns an, je länger wir von der Begegnung mit unseren freundlichen Feinden berichteten. Einem älteren Familienvater, der zu Hause fünf Kinder hatte, kullerten ein paar Tränen die Wangen herunter. Er meinte: „Was soll der verfluchte Krieg? Denkt ihr, er ist für uns etwas nütze? Nur die Großen verdienen an ihm, an jeder Granate, und unsereins muss hier im Dreck liegen.“

Da gedachten wir derer, die gefallen waren. Allmählich wanderten unsere Gedanken ganz von selbst nach Hause und weilten bei unseren Angehörigen. Dann sangen wir leise, zu den Klängen einer Mundharmonika, unsere schönen Weihnachtslieder.


Dies ist die Geschichte von Heinrich Gustav Teichmann. Sein Sohn, Horst E. Teichmann, der sie eingereicht hat, ist inzwischen ebenfalls verstorben. Seiner Witwe, Frau Dorothea Teichmann, gilt unser aufrichtiges Beileid.
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Wilhelm
superwichtiger-Rentier-Lenk-Wichtel


Datum der Anmeldung: 22.08.2005
Beiträge: 471
Wohnort: Märchenland

Geschrieben am: 08.08.2009, 16:00    Titel: Weihnachten im Krieg Top 16451: Weihnachten im Krieg Antworten & Zitieren

Ob 1. Weltkrieg oder heute Afagnistan, Krieg bleibt Krieg!
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