Michael 154<--- klicken für "schöne" Version mit Grafik ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Michael 154
Ida hatte die Hände zum Gebet gefaltet und betrachtete ihren kleinen Weihnachtsbaum. Ihre Augen waren feucht und sie dachte daran, wie es früher war. Im alten Radio auf der Kommode ertönte leise “Stille Nacht, Heilige Nacht“. Ida dachte an ihren verstorbenen Mann Albert, an Anna, ihre beste Freundin, und an Toni, ihren Sohn, der in jungen Jahren einem schlimmen Herzleiden erlegen war. All ihre Lieben waren von Gott vor ihr zu sich gerufen worden. Es machte sie traurig und sie war sehr alleine, so wie an diesem Heiligen Abend. Sie setzte sich, senkte den Kopf und wehrte sich nicht länger gegen ihre Tränen. Manchmal fragte sie sich, wann sie denn auch endlich gehen dürfe, aber der liebe Gott würde schon wissen, was Recht sei und sie glaubte sehr fest an Gott. Ihre Augenlider waren schwer, die Wangen feucht und ihre alten Hände hielten verkrampft das Taschentuch fest, als es an der Tür klopfte.
Sie erhob sich und ging mit den Bewegungen eines alten, gebrochenen Menschen an die Tür und öffnete sie.
Ein Junge stand da. Schmächtig klein war er, mit blond gelockten Haaren und wunderschönen Augen in einem zierlichen Gesicht.
„Ja?“ sagte Ida und wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Ich bin Michael“, erwiderte der Junge.
„Michael?“, fragte Ida.
„Ja, Michael 154“, lächelte der Junge.
„154, was bedeutet das?“, wunderte sich Ida.
„Ich bin Michael 154, weil ich als der 154. Engel mit dem Namen Michael in diesem Jahre das Licht des Himmels erblickte“, antwortete Michael vergnügt.
Ida sah ihn fest an. „Was kann ich für dich tun, Michael?“
„Sie haben gesagt, ich soll dich abholen kommen, Ida.“
„Wer hat das gesagt?“
„Nun, Albert, Anna, Toni und all die anderen.“
„Und wie soll das gehen?“, fragte Ida ungläubig.
„Es ist ganz einfach“, sagte Michael. „Gib mir deine Hand und schließe deine Augen, Ida.“
Ida glaubte nicht so recht, was hier geschah, aber sie tat, wie ihr geheiĂźen. Sie fĂĽhlte sich ganz leicht und es war ihr wohlig warm. Michaels Hand hielt sie ganz fest.
„Mach deine Augen wieder auf, Ida“, sagte Michael.
Ida öffnete ihre Augen und sah in die Runde. Sie meinte zu träumen. Sie war in einem festlich geschmückten Saal, voll von Menschen an reichlich gedeckten Tischen und einem Christbaum, so einen schönen hatte sie noch nie gesehen. Und da! Das gab’s doch nicht! Da waren ihr geliebter Albert, Anna, Toni und viele Gesichter, die sie kannte, alle winkten ihr zu.
Sie lieĂź Michaels Hand los und ging zu den Menschen, die ihr alles im Leben bedeuteten.
Es wurde das schönste Weihnachtsfest für Ida. Sie weinte, aber nicht aus Gram, sondern vor hellstem Glück.
In später Stunde ging Ida zu Michael zurück und sagte traurig:
„Michael, ich danke dir tief aus meinem Innern, du hast meinem Herzen eine Zeit der höchsten Glückseligkeit geschenkt, aber nun ist es spät und du wirst mich wohl wieder nach Hause zurückbringen.“
Michael sah sie mit seinen schönen, guten Augen an und sagte:
„Nein, Ida, dein Zuhause ist jetzt hier. Ich habe dich da unten abgeholt, weil deine Zeit auf der Erde abgelaufen ist. Du bist jetzt bei uns hier im Himmel, und wirst es für immer bleiben.“
Ida brachte kein Wort mehr hervor. Sie nahm Michael an die Hand, kĂĽsste ihn auf die Wange
und sie gingen zurĂĽck zu all den anderen Engeln.