Da ist ein Volk, das vor den Krippen betet,
wie alle Völker auch in dieser Nacht.
Gott hat wie Disteln dieses Volk gejätet
und es zum Brennen auf das Feld gebracht.
Da ist ein Volk, braucht keinen Stall zu bauen
für Kinder, die heut' Nacht geboren sind,
weil alle Sterne durch die Dächer schauen
und alle Mütter friert's im Weihnachtswind.
Dort liegen zitternd sie in ihren Wehen,
kein Engel, der die feuchten Hände hält,
kein Ochs und Esel, die beim Kinde stehen,
kein Hirtenlied aus dem verschneiten Feld.
Und Joseph kauert auf den nassen Stufen
und träumt vom letzten Brot, das er sich brach,
wo ist ein Gott, ihn gläubig anzurufen?
Wo ist ein Richter, der nicht "schuldig" sprach?
Und keine Könige, die sich verneigen,
und weder Weihrauch, Milch noch trocknes Brot,
und in den Ecken steht das dunkle Schweigen,
und auf den Trümmern sitzt der dunkle Tod.
Da ist ein Volk, im Dunklen noch verloren
und ist ein Volk, das ist wie keins allein,
und sind doch Kinder ihm heut nacht geboren,
und alle werden reinen Herzens sein.
Geschrieben 1944; aus: E.W.: Meine Gedichte. Posthum 1952 erschienen. München Kurt Desch Verlag. S. 36; enthalten in: E.W.: Sämtliche Werke in zehn Bänden. Bd. 10. Spiele. Reden, Gedichte, Miscellanea. München 1957: Verlag Kurt Desch. S. 472)
--------------------------------------------------------------------------- Beitrag vom 21.09.2005, 18:17 --- Kaminputzerin: Oben auf den Dächern --- : 364
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Das macht einfach Sprachlos....liebe Luna
Ein leiser Gruß die Kaminputzerin